Lesepredigt zum 4. Sonntag der Passionszeit - Lätare 27.03.2022

von Pfr. Edgar Tuschy

4. So. der Passionszeit - Lätare 27.03.2022

Predigt zu 2. Kön 19,1-8


Liebe Gemeinde
Manchmal da entdecken wir beim Lesen der Bibel die eine oder andere Unstimmigkeit.
Wenn wir solche Spannungen entdecken, Dinge, die da nicht so recht zusammen zu passen scheinen, müssen wir unseren Kopf gebrauchen, müssen nachdenken oder vielleicht auch einmal den Pfarrer fragen. Eine von diesen Unstimmigkeiten haben wir heute in unseren Predigtversen: Wie kann es sein, dass es in den zehn Geboten heißt: „Du sollst nicht töten!“ und Elia bringt die Baals-Priester in enthusiastischer Weise um? Das scheint für ihn oder vielleicht auch für andere „Gläubige“ damals irgendwie überhaupt kein Problem gewesen zu sein?
Tatsächlich kommt es nun immer wieder vor, dass sich Menschen in Ideen verrennen, schreckliche Dinge tun zu müssen, Dinge, von denen sogar behauptet wird, sie würden in Einklang mit dem Willen Gottes stehen. Da ergeben sich merkwürdige Parallelen zwischen dem Vorgehen Elias und dem, was da in der Ukraine geschieht. Auch der Krieg in der Ukraine, den man aus russischer Sicht nicht einmal so nennen darf, wird mit dem Willen Gottes in Verbindung gebracht, glaubt man dem russischen Patriarchen Kyrill. Doch Putin ist kein moderner Prophet, der gegen die Sünde kämpft. Er ist kein moderner Elia, der verhindern will, dass die Gottlosigkeit zunimmt. Nein, die beiden sind an dem einen Punkt vereint, dass sie durch ihren Eifer blind geworden sind für die Wahrheit.
Liebe Gemeinde, so eine Haltung kann man eine gewisse Zeit durchhalten, doch irgendwann ist Schluss, dann ist es genug. Die Wahrheit lässt sich nicht lange unterdrücken.
Unaufhaltsam wird der Zeitpunkt erscheinen, und der Mensch, der sich durch seine Gräueltat selbst ins Abseits versetzt, stellt resignierend fest: ich weiß nicht mehr weiter. Ich kann nicht mehr. Ich muss mich da irgendwie getäuscht haben.
Elia ist so eine Person. Er handelt tatsächlich in Übereinstimmung mit den im Alten Orient geltenden Gesetzen des Heiligen Kriegs und trägt in sich keinerlei Skrupel, Menschen kurzerhand zu töten. Eine Tat wie diese zieht freilich immer negative Konsequenzen nach sich: Wo Leben getötet wird, egal, ob angeordnet, wie in manchen Kriegen, womöglich zu Gottes Ehre, aber auch in Notwehr, oder auch unabsichtlich, immer wenn Menschen durch die Hand anderer sterben müssen, so ist das eine schreckliche Tat für die Rechenschaft gefordert wird. Das Gebot: „Du sollst nicht töten!“ kann durch nichts aufgehoben werden, kein Herrscher kann sich durch irgendetwas selbst entlasten. Der Zweck heiligt niemals die Mittel.
Wer noch einigermaßen bei Sinnen ist, weiß: Leben ist heilig, immer - vom Schöpfer geschenkt.
Bei Elia dauert es nicht lange bis er erkennt, dass er einer Täuschung erlegen ist. An seinen Kleidern hängt der Geruch der Getöteten als er sich unter jenen Ginster fallen
lässt. Elia ist am Boden: „Ach Gott nimm nun meine Seele!“ Erschöpfte Verzweiflung macht sich breit: Ich kann nicht mehr und ich will nicht mehr.
Liebe Gemeinde, ich denke, das kennen wir aus eigenem Erleben: Irgendwann ist das Maß voll, jetzt reicht es. Mehr geht nicht! Man fragt sich: wie konnte es zugehen, dass ich mich in eine solche Sackgasse hineinmanövriert habe?
Vielleicht sehen auch wir uns als verzagte Kämpfer, die denken: Jetzt ist es genug. Jetzt reicht es. Wir sind am Ende mit unserer Kraft und merken: auch wir sind im Grund nicht besser als unsere Väter oder Mütter, auch wenn wir uns angestrengt haben, besser sein zu wollen. Wir fühlen uns Elia nahe, auch wenn wir niemand umgebracht haben. Ich kann nicht mehr und ich will nicht mehr.
Wahrheit oder Tod, das war für Elia die einzige Alternative. Doch Gott hat noch weitere Möglichkeiten, als wir meinen. Elia darf es erleben und wir auch. Es ist genug. Auch dann ist Gott noch nicht am Ende, wenn viele in dieses „Es ist genug“ einstimmen, beim Blick auf die Bilder und Meldungen und dann ihr Radio oder ihren Fernseher abschalten, weil sie es nicht mehr aushalten können.
Aber genauso auch bei jenen Geflüchteten, die sich über die Grenze retten konnten in ihrem „es ist genug“!
Gott ist hier noch nicht am Ende. Elias ganzer Einsatz war im Grund sinnlos. Sein scheinbar grandioser Sieg im Grund sinnlos. Er hat nichts gebracht. Die unterschwellige Angst wird zur panischen Flucht, und niemand scheint Elia aufhalten zu können. Bei Elia verwandelt sich nun dieser Eifer in eine Depression. Er zieht sich zurück. Plötzlich scheint ihm sein Einsatz für seinen Gott, plötzlich scheint ihm überhaupt alles sinnlos. Doch Leben ist Beziehung: wir brauchen einander. Und so fällt er in einen tiefen Schlaf, dessen Länge man gar nicht recht beschreiben kann. Ein Schlaf der ihn gleichsam heilt. Doch nicht der Schlaf an sich heilt, sondern das, was hier passiert. Elia wird zu einem neuen Menschen.
Ein Engel kommt daher, sanft und doch voller Kraft und macht Elia deutlich: Das Leben ist für dich noch nicht vorbei, Leben - jetzt erst recht. Jetzt aber ohne Eifer. Dir steht ein Neuanfang bevor. Doch dieser Neuanfang trägt eine Art Sterben in sich, hin zu neuem Leben.
Wir sehen hier Ähnlichkeiten zu Paulus, der von einem alten und einem neuen Menschen redet. Der alte Elia stirbt gleichsam und der neue Elia taucht auf. Der Mann, der auf Hass und Gewalt setzt, stirbt. Der neue Elia ist der, der das Leben will für sich und die anderen will.
Als er ganz am Ende ist, kommt der Bote Gottes und meint: Steh auf und iss, denn du hast einen weiten Weg vor dir.
Liebe Gemeinde, nicht nur in der Bibel, auch in unserem eigenen Leben wird es immer wieder zu solchen Unstimmigkeiten kommen, Spannungen, mit denen wir umgehen müssen. Mit unserem Gott haben wir einen an unserer Seite, der immer wieder einen Ausweg kennt. Selbst für Mörder wie einen Elia, aber auch einen Mose oder einen xy muss das Leben nicht in der Sackgasse enden.
Es ist genug. Hier sind wir Menschen mit unserem Latein am Ende, doch Gott sieht bereits weiter, kennt Möglichkeiten, wie es weitergehen kann. Der Engel sagt zu Elia: Nimm und iss hier ist Wasser und ein geröstetes Brot. Es liegt ein weiter Weg vor dir.
Auch vor uns liegt ein weiter Weg. Doch dieser Weg ist länger als 40 Tage und 40 Nächte. Wo wir für Gottes Sache ehrlich unterwegs sind, da rüstet uns Gott aus, so stellt er auch uns gleichsam Wasser und Brot bereit. Bei ihm tanken wir auf.
Auch du bekommst Kraft, um loszugehen, um neu zu werden, falls der Eifer dich ergriffen hat. In unserer gegenwärtigen Situation, da braucht es allerdings nicht nur einen Engel, da braucht es scharenweise solche, die sich gebrauchen lassen, um denen weiterzuhelfen, die da gestrauchelt sind und nicht mehr weiterwissen.
Amen.
Pfr. Edgar Tuschy