Lied-Predigt vom 6. Dezember 2020

von Herrn Heinz Frankenberger

Liebe Gemeinde,

es mag Ihnen etwas seltsam vorkommen. Aber ich möchte Ihnen an einem solchen Abend – obwohl die Gemeinde weiterhin aufs Singen im Gottesdienst verzichten soll – eine Liedpredigt halten.

Ich habe für Sie ausgesucht „Es kommt ein Schiff geladen“. Sie finden es auf Ihrem Psalm- und Liederblatt.

 

Singen EG 8 Str, 1 – 3

1. Es kommt ein Schiff, geladen bis an sein’ höchsten Bord,
 trägt Gottes Sohn voll Gnaden, des Vaters ewigs Wort.

2. Das Schiff geht still im Triebe, es trägt ein teure Last;
das Segel ist die Liebe, der Heilig Geist der Mast.

3. Der Anker haft’ auf Erden, da ist das Schiff am Land.
Das Wort will Fleisch uns werden, der Sohn ist uns gesandt.

 

Gesprochen Str. 4 – 6

4. Zu Bethlehem geboren im Stall ein Kindelein,
gibt sich für uns verloren; gelobet muss es sein.

5. Und wer dies Kind mit Freuden umfangen, küssen will,
muss vorher mit ihm leiden groß Pein und Marter viel,

6. danach mit ihm auch sterben und geistlich auferstehn,
das ewig Leben erben, wie an ihm ist geschehn.

 

Das Lied stammt in dieser Fassung von einem Straßburger Pfarrer, Daniel Sudermann. Es wurde 1616 in einem Straßburger Gesangbuch veröffentlicht.

Die Strophen 1 – 3 sind aber viel älter. Sie werden Johannes Tauler zugeschrieben, der von 1300 – 1361 vor allem in Straßburg als Priester lebte und dort im Dominikanerinnenkloster „St. Nicolaus in undis“ (St. Nikolaus in den Wellen – der Nachfolgebau liegt an der Ill bei dem Pont St. Nicolas)! oft gepredigt hat.

Sie finden in Str. 1-3 unterstrichen das Bild vom Schiff.

Das Schiff kommt von weit her, es geht still im Triebe, es zieht ruhig seine Bahn, nicht aufrauschend das Wasser vor sich herschiebend – es landet schließlich an, sein Ziel ist ihm gewiss, es ankert und ist am bestimmten Ort.

Ein Schiff, immer auch Symbol von weiter Reise in die Ferne – oder aus der Ferne kommend. Im Mittelalter war das SCHIFF unter anderem eine Metapher für Maria oder für die Kirche.
In der zweiten Halbstrophe (in anderer Druckschift notiert) wird deutlich, was mit diesem Bild vom Schiff gemeint ist. Da hört man die theologische Deutung:

Das Schiff …

trägt Gottes Sohn voll Gnaden, des Vaters ewigs Wort.

Das Segel ist die Liebe, der heilig‘ Geist der Mast.

Das Wort tut Fleisch uns werden, der Sohn ist uns gesandt.

 

Der Gottes Sohn kommt aus der unsichtbaren Weite von Gott her. Er ist der Verheißene, der Retter / der Heiland, von dem Gott in Prophetenworten gesagt hat.

Deshalb auch die Schiffsausrüstung: Die Liebe und der Heilige Geist treiben das Schiff an.

In der Deutungshälfte finden Sie gleich noch zwei Gedanken / Bildworte: In Joh 1 heißt es: Das Wort ward Fleisch.

In Jes 9,5: Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben. Gottes Sohn ist Mensch geworden,; das ist da mit Fleisch gemeint – im Unterschied zu Geist.

 

Unser Gedicht ist ein Lied:

Das Bild des Schiffes finden Sie musikalisch ausgedrückt in den ersten drei Takten: ein ruhig wiegender Dreier-Takt.

Er bildet das langsame Auf und Ab des Schiffes im Fahrwasser ab.

Der zweite Teil der Melodie, der jeweils die Deutung des Bildes beschreibt, steht im festen Zweiertakt. Dabei sind übrigens jeweils zwei Viertelnoten so lang wie vorher drei Viertelnoten.

 

Wiederholung Strophe 1.

Vielleicht haben Sie es gemerkt; Es gibt ja auch noch eine zweite Bewegung, eine große ruhige Wellenbewegung:
Der erste Teil steigt auf, der zweite Teil steigt ab, so wie das herabkommt, was von Gott herabkommen soll.

 

Zum Adventslied, ja, sogar zum Weihnachtslied wird das Lied erst mit Strophe 4.

Das Lied wird ergänzt und fortgeschrieben, sicher vom genannten Pfarrer Sudermann:

Das Schiff trägt das Kind in der Krippe: Den kleinen Jesus, neugeboren! Der ist die teure Last, der ist der versprochene Sohn Gottes!, der ist der menschgewordene Gott.

Die Strophe beginnt rührend und idyllisch:

Zu Bethlehem geboren

Im Stall ein Kindelein.

 

Aber es bleibt nicht bei der Idylle:

Gibt sich für uns verloren.

Mitten in der Christnachtsseligkeit weist das Lied schon hin auf das Ende des Lebensweges dieses Kindeleins:

Der Mensch Jesus – Sohn Gottes, wie wir es glauben – wird verloren am Kreuz enden. Er gibt sich verloren ans Kreuz – er geht diesen Weg selbst aus freien Stücken und weil Gott es will, er wird nicht auf diesen Weg hingeschubst.

 

Die 5. Strophe:

Und der dies Kind mit Freuden

Umfangen, küssen will

Das möchten wir doch gerne, nicht wahr? Das wäre doch ein Weihnachtsfest pur, mit oder ohne Schnee – das Neugeborene umarmen und ein Küsschen auf die Stirn oder auf die süßen kleinen Zehen drücken.

 

Aber das ist nicht gemeint – nicht unsere Weihnachtsseligkeit mit Krippenkind und Schäfchen, Maria, Joseph, Ochs und Esel  – mittlerweile ja schon hart umkämpft. Sie geht womöglich auf Franz von Assisi zurück, von dem überliefert ist, dass er 1223 statt einer Predigt ein Krippenspiel aufführt.

 

Das Lied singt von einer ganz anderen lebenstiefen und existenziellen Begegnung mit dem Kind. Die kann keine körperliche sein, auch weil wir heute fast 2000 Jahre entfernt sind, die Begegnung kann nur eine geistliche, eine mystische Begegnung sein, eine, die nicht vollkommen mit Worten zu beschreiben ist, eine, die man nur für sich selbst spüren kann.

Die Begegnung mit dem Kind, das doch der Sohn Gottes ist: Der Vater sendet seinen Sohn aus Liebe zu seinen Menschen, die Menschen aber sollen liebend antworten und sich auf ihn zubewegen, wenn sie das ewige Leben – das Leben bei Gott – haben wollen.

 

Die Strophe geht weiter:

Muss vorher mit ihm leiden groß Pein und Marter viel,

danach mit ihm auch sterben und geistlich auferstehen,

das ewig Leben erben, wie an ihm ist geschehn.

 

Spätestens hier wird das Lied zur Herausforderung. Das Kind umfassen und küssen und liebhaben – JA! Aber dafür leiden, sterben und auferstehen?

Ich will doch nicht leiden und schon gar nicht sterben!

Das Lied sagt uns:

Erlösung ist nicht dadurch zu haben, dass da irgendeiner kommt und sagt: Du bist erlöst! Alles gut!

Der Einzige, der sagen kann: Du bist erlöst, du wirst ewiges Leben haben, der ist selbst genau diesen Weg gegangen: hat gelitten, ist gekreuzigt, gestorben, begraben, aber am dritten Tage auferstanden.

Ich, Du, Sie als Hörer dieser Liedpredigt: Wir müssen wissen und erkennen, dass zum Menschenleben Geburt, viel Schönes, aber auch Leiden – mehr oder weniger - und Sterben dazugehören.

Die Begegnung mit Gott in seiner neuer Welt – das ist gemeint mit „Wer das Kind umfangen, küssen will“ - ist nicht einfach so zu haben. Wohl dem oder der, der oder die im Glauben an ein Ewiges Leben bei und mit Gott ein Ziel weiß und als Verheißung sieht, das ihm oder ihr geschenkt werden wird.

 

Ich wünsche Ihnen und mir von Herzen, dass wir unsere Leben gestalten und leben können mit der Hoffnung, dass wir Gott nahe sein dürfen, weil er ja zu uns kommt – und dass diese Hoffnung unsere Leben tragen kann.

So manches in der Adventszeit und an Weihnachten wird in diesem Jahr anders sein – vielleicht weniger Trubel, weniger Verwandtschaft, zu wenig Freunde, weniger shoppen und Gedränge in der Einkaufsmeile, womöglich nicht mal richtig Weihnachtsgottesdienst in der Kirche mit Christbaum und den schönen Liedern.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie es spüren können, dass die Botschaft von Advent und Weihnachten nur geistlich zu erfassen ist und durch keinen Geschenkeberg und keine Weihnachtsfesttafel ersetzbar ist: Dann können wir beglückend und befreiend erleben, was es heißt: Uns ist ein KIND geboren, ein SOHN ist uns gegeben!

Und jetzt hören wir das Lied 8 noch einmalim Zusammenhang – und wenn‘s Ihnen nichts ausmacht, singen wir‘s nach dem Nachspiel draußen vor der Kirche nochmal. Nehmen Sie bitte das Liedblatt mit!

Amen

 

Heinz Frankenberger
Prädikant im Kirchenbezirk Mühlacker