Zur Grundsteinlegung der Waldenserkirche am 7. Juli 1872
Der kleine, nur eine Straße bildende Ort besteht meist aus niedlichen einstockigen Häusern. Obstbäume umgeben den freundlichen Ort.
Die kleine, 1737 erbaute Kirche, mit einem Dachreiter auf dem First hat nichts bemerkenswerthes .
Ein öffentliches Backhaus und ein Armenhaus ist vorhanden.
Gutes Trinkwasser liefern 2 Pumpbrunnen. Der Baumbach speist den Feuersee in dem Weißfische und Karpfen gezogen werden. Von dem Vieh wird ein Theil gemästet und nach Baden und Frankreich abgesetzt. Die übrige Milch verkauft man an die im Ort bestehende Käserei. Ihre Nahrungsquellen bestehen in Feldbau, Viehzucht und Taglohnarbeiten…
Mit diesem kleinen Auszug einer „Ortsbesichtigung“ von 1870 möchte ich Sie mitnehmen in eine Zeit des Aufbruchs:
1853 die angrenzende Bahnlinie wird eröffnet
1871 der Deutsch-Französische Krieg endet
1871 das Deutsche Kaiserreich wird ausgerufen
1872 metrische Einheiten lösen Fuß, Zoll, Morgen, etc. ab
1873 Gulden und Kreuzer werden durch die Mark ersetzt
Und da wollen diese Kleinvillarser, als geordnete, umtriebsame und sehr sparsame Leute beschrieben, eine neue Kirche, bauen? Mit 3200 Gulden in der Kasse der Stiftungspflege kann man da aus heutiger Sicht nur sagen: Lux Lucet In Tenebris!!
Im nebenstehenden Bauplan sehen Sie den ersten Glockenturm der damals am First über dem Eingang der Kirche angebaut wurde. Die Nummern kennzeichnen die Sandsteine die in umliegenden Steinbrüchen nach vorgegebenen Zeichnungen gebrochen, gesägt und endbearbeitet wurden. Die Steine wurden auf spezielle Steinwägen verladen. Von Pferden gezogenen wurden dann die tonnenschweren Lasten zur Baustelle gekarrt. Der Steintransport, Schwerstarbeit für Mensch und Tier, war für so manchen Landwirt ein willkommener, wenn auch nicht ungefährlicher Zusatzverdienst. Auf der Baustelle wurden diese „3-D-Puzzelsteine“, sofern notwendig nachbehauen, und dann mit Mörtel am vorgesehenen Ort eingebaut.
Die Grundsteinlegung mit Prof. Dollinger, am Sonntag 7.7.1872, begann sicherlich mit einem Gottesdienst. Womöglich der letzte in der alten Kirche. Oder gar schon im Freien? Denn die alte Kirche musste abgerissen werden um eine Zufahrt zur Baustelle zu haben.
Es dürfte aber weniger um große Feierlichkeiten gegangen sein. Die Steinhauer waren zwar für ihren großen Durst bekannt. Doch ich denke eher, dass man in den Folgetagen mit dem Architekten Dollinger die Fundamentsteine verlegt und eingemessen hat.
Ja, die Kirche steht auf großen Füßen, denn diese Grundsteine sind etwa 70cm breit und bis 1,2m lang und bringen damit gerne auch mal 500kg auf die Waage.
Auf der Titelseite sehen Sie, mit Blickrichtung Süden, das mit zwei Säulen verzierte und filigran anmutende Glockentürmchen mit einer aus dem Sandstein herausgearbeiteten Ziegeldachstruktur. Dieser Aufbau dürfte mindestens 6to gewogen haben. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass schon zehn Jahre später der heute noch vorhandene Glockenturm angebaut werden musste. Ob das Türmle heruntergefallen ist oder nur gewackelt hat, ist bis jetzt leider nicht bekannt. Am Glockenläuten, Einladung zum sonntäglichen Gottesdienst, hat’s sicherlich nicht gelegen.
Im nächsten Gemeindebrief werde ich dann diese kleine Serie zum Bau der Waldenserkirche abschließen. Wenn Sie sich jetzt fragen, wer wohl von Pfr. Paret als Erstes in der neuen Kirche getauft oder getraut worden ist - Geduld, Geduld, Sie können es im nächsten Gemeindebrief nachlesen.
Walter Meffle