Lesepredigt von Herrn Pfr. Edgar Tuschy

Brüder und Schwestern, bei der Barmherzigkeit Gottes bitte ich euch:
Stellt euer ganzes Leben Gott zur Verfügung. Es soll wie ein lebendiges und heiliges Opfer sein, das ihm gefällt. Das wäre für euch die vernünftige Art Gott zu dienen. Und passt euch nicht der Zeit an. Gebraucht vielmehr euren Verstand in einer neuen Weise und lasst euch dadurch verwandeln. Dann könnt ihr beurteilen, was der Wille Gottes ist: Ob etwas gut ist, ob es Gott gefällt und ob es vollkommen ist.

Bei der Gnade, die Gott mir geschenkt hat, sage ich jedem Einzelnen von euch: Überschätzt euch nicht und traut euch nicht mehr zu, als angemessen ist.
Strebt lieber nach nüchterner Selbsteinschätzung. Und zwar so, wie Gott es für ihn bestimmt hat – und wie es dem Maßstab des Glaubens entspricht.

                                                                                                                      Römer 12, 1-3

 

Liebe Leserin, lieber Leser,

herzlich grüße ich Sie im neuen Jahr, Gottes Segen umgebe Euch.

„Jedem Anfang“, so heißt es bei Hermann Hesse, „wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft zu leben.“

Nun habe ich es nicht so sehr mit jenem Zauber, der da termingerecht immer am jeweiligen Anfang zum tragen kommen soll. Mit Paulus gebrauche ich vielmehr den Verstand und erkenne, dass das neue Jahr zwar begonnen hat, doch frage ich mich: liegt so ein neues Jahr - wie es oft beschrieben wird  - tatsächlich gleichsam wie ein unbeschriebenes Blatt vor uns? Kann man - wenn sich die Zahl am Ende von einer 0 in eine 1 wandelt - sich selber auch mit wandeln und ist mit einer solchen zeitlichen Grenzüberschreitung wirklich alles bezaubernd neu?

Wir haben mit dem, was wir im letzten Jahr alles erlebt und erlitten haben eine Vergangenheit, die uns noch immer anhaftet und wir sind eingebunden in Erlebtes, das unser Wesen bestimmt und prägt. Wir stecken mittendrin in Geschichten, auch in Unerledigtem und in Schuld.

Vermutlich geht es ihnen wie mir, dass ich schlechte Angewohnheiten nicht einfach so über Bord werfen kann, wenn ein neues Jahr daherkommt.
Von einem Tag auf den anderen lassen sich  Verhaltensweisen nicht einfach so ändern.

Für einen echten Neuanfang sind wir auf Gott angewiesen.

Und da umgibt uns mit dem Eintritt in dieses neue Jahr die Jahreslosung wie ein warmer Mantel und auch in diesem Predigttext schenkt uns Gottes Barmherzigkeit Mut für neue Schritte. Eingehüllt in diese geistliche Wärme können wir den ersten Vers an uns heranlassen: „Stellt euer ganzes Leben Gott zur Verfügung.“ Das mag auf den ersten Blick Angst machen.

Wir sollen uns unserem Gott „ausliefern“?

Das wäre sicher eine Horrorvision für alle jene unter uns, die ihr Leben durchplanen und die so gestrickt sind, alles im Griff haben zu wollen.

Für die Planer unter uns mag sich das schrecklich anhören:

  • Sollen wir wirklich unsere Selbstständigkeit aufgeben?
  • Sollen wir nicht mehr Herrin oder Herr in unserem Haus sein?
  • Reicht die eine Stunde am Sonntag nicht aus uns Gott zuzuwenden?

 

Nun, als Christen gehen wir – so die Möglichkeit dazu besteht – regelmäßig sonn-tags in den Gottesdienst. Dieser sonntägliche Gottesdienst ist ein Weg, wie Gott uns „dient“. Gegenwärtig geschieht das nun über den Weg der ausgedruckten Predigten, bzw. Predigten auf der Homepage oder das Anschauen eines Gottesdienstes, den wir uns in unser Zimmer holen. Doch das ist nur ein Teil.

Gottesdienst geschieht für uns auch im Alltag.

Da ergeben sich immer wieder Möglichkeiten Gott zu dienen und auch umgekehrt dient uns Gott auch von Montag bis Samstag in unserem Alltag, z.B. mit Versen aus der Losung, die oft situativ unserer Lage ein hoffnungsvolles Licht an die Seite stellt.

 

Das Jahr, das nun begonnen hat, wird für viele dadurch gekennzeichnet sein, was wir im letzten Jahr alles schmerzhaft erleben mussten.

Wer kann in diesem neuen Jahr so weitermachen, wie wir Jahrzehnte lang gelebt haben?

Müssen wir nicht viele vermeintliche Selbstverständlichkeiten in Frage stellen?

Muss nicht Gott wieder unsere ordnende Mitte sein?

Wenn wir uns dazu entschließen, unser ganzes Leben Gott zur Verfügung zu stellen, dann wird das für uns nur zum Segen werden.

Sein eigenes Leben aus den Händen zu geben ist wahrlich ein großes Risiko für uns. Nicht mehr Herrin oder Herr über sein Leben zu sein, undenkbar? Wer selber gerne plant, tut sich schwer dabei, doch wenn etwas ganz Entscheidendes aus dieser sogenannten Pandemie gelernt werden kann, dann Folgendes: Wie schnell können sich durch Kleinigkeiten gravierende Änderungen in unserem Leben ergeben.

Haben wir unser Leben wirklich selber in unseren Händen?
Will ich mir sicher sein, ob ich nächstes Jahr noch lebe?

Es geht mir nicht darum, jemandem Angst einzujagen, im Gegenteil. Ich möchte verdeutlichen, dass unser Gott uns einen guten Weg zugedacht hat. Wenn wir uns also auf Gott einlassen, dann schwingt der Gedanke mit, dass wir es mit einem zu tun haben, der barmherzig mit uns umgeht, der uns nicht überfordern will. Wer Gott sein Leben zur Verfügung stellt, der ist danach aus wertvolle, Sinn stiftende  Erfahr-ungen in seinem Leben zu machen. Diese Haltung, dieses Eingebundensein hat zur Folge, dass die Angst weicht, alleine für alles verantwortlich sein zu müssen. Mein Leben ist so bei ihm in guten Händen und das befreit von dem Druck, sein eigenes Heil schaffen zu müssen.

 

Wenn ich weiß, dass Gott mein Leben in der Hand hält, er mich führt und leitet, ist jeder Tag der kommt ein Tag den Gott mir schenkt.

Es ist also nicht ein Zauber, der uns beschützt, sondern die unsichtbare Hand Got-tes. Das lässt uns gelassen werden, weil wir wissen: wir sind geborgen, egal, was kommen mag. So leben wir nicht für uns allein, sondern eingebunden in eine Ge-meinschaft, die auch andere im Blick hat und sich selbst nicht aus dem Blick verliert.     Denn auf diese letztgenannte Gefahr scheint mir Paulus hinzuweisen, wenn er schreibt, wir sollen uns nüchtern einschätzen und uns nicht überschätzen. Die Barmherzigkeit und Güte Gottes soll freilich auch in der Art ihre Entsprechung finden, wie wir mit uns selber umgehen.

Ein Geschäftsmann kam zu einem weisen Mann und fragte ihn nach dem Geheimnis eines erfolgreichen Lebens. Da antwortete der Meister lächelnd: „Mach jeden Tag einen Menschen glücklich!” Und schließlich fügte er hinzu: „Auch wenn dieser Mensch du selbst bist.“

Gottes Güte möge unter euch Gestalt gewinnen.

Amen.

Pfarrer Edgar Tuschy